Das Themenspektrum der Kriegskulturen wird aus heuristischen Gründen in zwei Forschungsfelder unterteilt:
A. Ausdrucksformen
Hier werden die verschiedenen Ausdrucksformen der Kriegskulturen, also das Heerwesen, Kriegspraktiken, mit kriegerischen Handlungen verbundene Rituale sowie religiöse Kulte und Objekte oder die Alltagswelt von Soldaten, untersucht. Dafür können beispielsweise Militärhandbücher, Geschichtsschreibung oder hagiographische Literatur (z.B. im Kontext religiöser Riten) herangezogen werden. Die Militärarchitektur soll archäologisch ausgewertet und religiöse Gegenstände und der kultische Umgang mit ihnen sollen betrachtet werden. Unterschiedliche Texte und Medien (inklusive der Musik) erfordern dabei gattungsimmanent und -übergreifend unter Berücksichtigung von Topik und der Langlebigkeit tradierter Konzepte eine differenzierte Analyse. Dies gilt konkret u.a. bei den Illustrationen byzantinischer Taktika und Belopoiika oder der Darstellung von Gefangenen, Verletzten und Getöteten, wo gerade das Fortleben bzw. die Unterschiedlichkeit zu antiken Bildtypen mit Gewinn zu untersuchen sind, oder etwa bei der Darstellung von Militärheiligen, wo eher Neues entsteht.
B. Deutungskonzepte
Hierunter werden Theorien, Konzepte, Strategien und Vorstellungen von Krieg, Legitimation und normative Grundlagen für das Verhalten im Krieg, aber auch Selbstdarstellungsformen von Herrschern und kriegerischen Eliten oder Konzeptualisierungen der Gegner in ihren unterschiedlichen Ausprägungen und Anpassungen gefasst. Beispielsweise können Typusbildungen des Kriegers und dessen Funktionalisierung als Legitimationsressource für das Herrschertum, Begründungen von Kriegen durch den Rekurs auf biblische Texte oder die Kriegspropaganda und Feindbilder anhand schriftlicher und archäologischer Quellen untersucht werden; zu denken ist dabei an Panegyrici, Ritterspiegel, theologische Abhandlungen, Repräsentationsformen im Bestattungskontext, Festzyklen in der Kirchenmalerei oder Musikpropaganda.
Diese beiden analytischen Forschungsfelder werden auf vier Themenbereiche angewandt, die für alle beteiligten Disziplinen ergiebig erscheinen. Durch diese Fokussierung wird ein fest umrissenes Forschungsprogramm etabliert, das eine interdisziplinäre Behandlung der Generalfrage nach der Stellung der byzantinischen Kultur im euromediterranen Raum sowohl in synchroner als auch in diachroner Perspektive ermöglicht. Es wird dabei eine ausgewogene Zuordnung der Arbeiten zwischen den Forschungsfeldern und den Themenbereichen angestrebt, sodass möglichst viele Aspekte des Forschungsprogramms erfasst und unterschiedliche Fachdisziplinen miteinander verzahnt werden. Einzelne Vorhaben lassen sich auch mehreren Themenbereichen zuordnen bzw. betreffen sowohl Ausdrucks- als auch Deutungsebene. Kollegiaten/innen, die zu einem Themenbereich arbeiten, profitieren daher auch von den Forschungen der Kollegiaten/innen aus anderen Themenbereichen sowohl im informellen Austausch als auch in der Diskussion im Kolloquium, welches sich alternierend auf einen der Themenbereiche fokussiert.
1. Themenbereich „Rechtfertigungs- und Begründungsstrategien“
In diesem Themenbereich werden verschiedene Legitimationsstrategien von Kriegen, aber auch Krieg als politische Legitimationsressource betrachtet. Einen Komplex bilden religiöse Rechtfertigungs- und Begründungsstrategien, etwa in Schriften der Theologen des Ostens oder Westens oder im Zuge der Militarisierung von Festbildzyklen in Kirchen. Hinzu tritt der Rückgriff auf byzantinische Traditionen anhand von Kriegs- oder Schlachtenexempla, die auch mit religiösen Begründungen verknüpft sein können, beispielsweise wenn der Zar Krieg gegen „Ungläubige“ führte. Auch auf die Bezugnahme auf kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Byzanz und den Osmanen durch die byzantinischen Nachfolgestaaten sowie auf die Präsenz der renovatio-imperii-Idee in der Legitimation späterer Kreuzzüge kann verwiesen werden. Die transkulturelle Untersuchung erfasst dabei ebenso Kämpfe und Kriegsvorbereitungen gegen einen „äußeren Feind“ wie Usurpationen im „Inneren“, wie auch die Legitimation von Herrschaft durch Krieg gegen Byzanz.
2. Themenbereich „Konzeptualisierungen von Personen und Gruppen"
Im zweiten Themenbereich werden Konzeptualisierungen bestimmter Personen und Gruppen in den verschiedenen Kriegskulturen im Kontext eigener und fremder Zuschreibungen anhand unterschiedlicher Medien behandelt. Als Untersuchungsfelder ist dabei zunächst an die Konzeption des eigenen und des fremden Kriegers sowie an die Darstellung von Unterlegenen im Krieg oder an verschiedene Modellierungen von Feindbildern zu denken. Daneben ist von Interesse, inwieweit sich etwa in Byzanz die Darstellung von fremden Söldnern von jener byzantinischer Soldaten unterscheidet. Welche Darstellungen finden sich von „Verlierern“ des Krieges, von Gefangenen, Verletzten oder Getöteten? Wie werden Gegner in verschiedenen Kriegskulturen konzeptualisiert, etwa in Byzanz oder der post-byzantinischen orthodoxen Tradition? Und umgekehrt: Wie wurde Byzanz als Gegner, etwa bei den Karolingern oder in der slavischen Rezeption, wahrgenommen? Hinzu tritt die Frage, welche Rückwirkungen religiöse Identitätskonstruktionen auf die Konzeptualisierung der Feinde haben. Zu nennen wären hier bei „innerchristlichen“ kriegerischen Auseinandersetzungen die Darstellungen von Rechtgläubigen im Gegensatz zu Häretikern (z.B. in post-byzantinischer Zeit zwischen Lateinern, Orthodoxen, Protestanten). Aber auch Identitätskonstruktionen im Rahmen der Attribuierung muslimischer Gegner in christlichen Quellen oder umgekehrt stellen ein spannendes Untersuchungsfeld dar.
3. Themenbereich: „Rituale und Kulte“
In diesem Themenbereich werden Rituale, Praktiken und Kulte, die im Krieg oder im Zusammenhang mit der Vor- und Nachbereitung von Schlachten vollzogen werden, untersucht. Insbesondere Zeremonien, der Gebrauch von Reliquien im Felde, religiöse Handlungen der Soldaten oder auch speziell die Bedeutung christlicher Feste und liturgischer Vollzüge stehen im Fokus. Der transkulturelle Vergleich lässt neue Perspektiven auf diesen Aspekt der Kriegskulturen erwarten. Aber auch Soldaten als religiöse Gemeinschaft stellen ein interessantes Untersuchungsfeld dar. Hinzu tritt die Funktion christlicher Symbole bei der Kennzeichnung von Militaria, und insbesondere die Rolle von Militärheiligen, die in bildlichen Darstellungen und schriftlichen Quellen zu greifen ist.
4. Themenbereich „Wissen und Infrastruktur“
Im Rahmen dieses Themenbereichs werden sowohl Militärstrategien und -technologien betrachtet als auch die Rekrutierung von Soldaten, ihre rechtliche Stellung, ihre Aufgaben und ihr Alltag. Dazu können byzantinische Taktika und Belopoiika und deren Illustrationen untersucht werden, wobei auch die Verwendung antiker Vorlagen sowie die Rezeption in der Frühen Neuzeit in den Blick zu nehmen wären. Im Kontext der Militärtechnologien können einerseits Grundlagenarbeiten zu byzantinischen Waffen und Rüstungen entstehen, ggf. unter Heranziehung experimental-archäologischer Methoden, es kann aber auch anderersseits anhand der schriftlichen wie archäologischen Quellen die Adaption antiker, westlicher wie byzantinischer Technologien untersucht werden, so z.B. die Übernahme normannischer Technologien in Byzanz oder byzantinischer im Frankenreich. Als weitere Themen lassen sich etwa lateinische Söldner im byzantinischen Heer oder der Warägergarde nennen sowie Untersuchungen zur Dienst- und Freizeit der Soldaten, im Wandel von der römischen Kaiserzeit über die Spätantike bis hin zu Byzanz. Auch die Logistik und Infrastruktur allgemein stellen einen wichtigen Themenkomplex dar.
Verdichtung und Verknüpfung der Themenbereiche durch die Querschnittsthemen sowie Konkretisierung der Themenbereiche durch thematische Cluster
In der zweiten Förderphase treten zu den vier Themenbereichen vier Querschnittsthemen neu hinzu, die wir aufgrund der Arbeit in der ersten Förderperiode als sinnvolle Ergänzungen identifiziert haben. Konkret geht es dabei um Kriegsfolgen, Geschlechterrollen und Genderfragen, Kriegserzählungen sowie kulturelle Praktiken im Kontext von Krieg. Die verstärkte Berücksichtigung der Kriegsfolgen, die umfassend auf Gesellschaften einwirken und sie prägen, verknüpft alle Themenbereiche gleichermaßen. Damit in Zusammenhang steht das Thema der Geschlechterrollen und Genderfragen, indem nun auch solche Akteure in den Blick genommen werden, die weniger an der praktischen Kriegsführung beteiligt waren (Frauen, Kinder). Aber auch Konzepte von Männlichkeit fallen in diesen Bereich. In vielen der Dissertationsvorhaben hat sich weiterhin gezeigt, dass Kriegserzählungen eine wichtige Analysekategorie darstellen. Daher soll in der zweiten Förderperiode ein Fokus darauf liegen, wie Kriege in verschiedenen Kontexten dargestellt werden und welche Erzählmuster dafür genutzt werden. Schließlich sollen praxeologische Fragestellungen stärker in den Vordergrund rücken, durch die Einbeziehung körperlicher Praktiken und der Interaktion sowohl zwischen Menschen als auch zwischen Menschen und Objekten. Diese vier Querschnittsthemen werden die vier Themenbereiche zusätzlich verbinden und verlangen zudem neue methodische Ansätze, die den Doktorand:innen in Workshops vermittelt werden sollen.