Station 7: Hoher Dom St. Martin

 

 

Mit Schwert, Charme und Mantel – ein antikes Kriegermotiv in christlicher Mission

Wenn in der Martinsgeschichte aus einem römischen Offizier ein christlicher Heiliger wird, steckt noch mehr dahinter als die Erinnerung an seine Barmherzigkeit.

Der Mainzer Dom ist das Wahrzeichen der Stadt! Mit seiner Fertigstellung im Jahr 1009 war er religiöses und politisches Zentrum des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und Schauplatz von Messen und Krönungen. Geweiht ist er Sankt Martin und um dies zu verdeutlichen, errichtete man ihm eine Statue auf dem Dach des Westchores. Hier wacht er seit 1769 mit Pferd, Schwert und Mantel über die Stadt. Vom Laichhof aus ist er am besten zu sehen.

Nahaufnahme von St. Martin auf dem Dach des Doms, von Südwesten aus. Foto: Christian Albert

 

Doch was hat Sankt Martin nun mit der Erinnerung an Krieg zu tun?

Wir alle kennen die Legende des Reiters aus dem 4. Jahrhundert: In einer kalten Winternacht begegnet der römische Soldat Martin einem Bettler, der ihn um Hilfe anfleht. Um ihn vor dem Erfrieren zu bewahren, teilt Martin kurzerhand seinen Mantel entzwei und gibt dem Bettler eine Hälfte. Dieser Akt der Barmherzigkeit wurde im frühen Christentum zum Abbild einer christlichen Tugend und schnell auch zu einem der beliebtesten Heiligenmotive. Doch das ursprüngliche Motiv hatte eine ganz andere Bedeutung:

Seine genaue Herkunft ist zwar unbekannt, doch finden sich schon im 3. Jahrhundert v. Chr. Darstellungen von berittenen Herrschern in den Bilderwelten der antiken Großreiche. Durch den erhöhten Sitz auf dem Pferd konnten die Herrschenden ihre hohe Stellung in der Gesellschaft verdeutlichen. Besonders die römischen und byzantinischen Kaiser ließen sich am liebsten im Kontext von Kriegen auf dem Rücken ihrer Pferde darstellen, immer schwer bewaffnet und in voller Rüstung. Die Botschaft dieser Bilder lautete immer gleich: Ein militärischer Sieg wurde errungen! Dieser konnte mit dem symbolischen Niederreiten eines Feindes verstärkt werden.

Mittelplatte einer Elfenbeintafel mit der Darstellung eines reitenden byzantinischen Kaisers (sog. Barberini-Diptychon), 6. Jahrhundert.

 

Im Laufe der Zeit erfreute sich dieses Motiv auch bei einfachen Reitersoldaten immer größerer Beliebtheit, konnten sie sich doch so mit den Charakterzügen eines Herrschers darstellen. Besonders häufig findet sich ein siegreicher Reiter daher auf Grabsteinen römischer Soldaten. Als Legionslager und Hauptstadt der römischen Provinz Germania Superior fördert auch Mainz solche Grabsteine zu Tage, wie derjenige des Caius Romanius Capito auf dem ehemaligen Römerfriedhof im heutigen Münchfeld.

Der Grabstein des Reitersoldaten Romanius Capito vom römischen Gräberfeld in Münchfeld, 3. Viertel 1. Jh. n. Chr. Foto: U. Rudischer, Landesmuseum Mainz

 

Anfang des 4. Jahrhunderts n. Chr. schmückt sich Konstantin der Große als erster christlicher Kaiser nach seiner berühmten Kreuzvision am Vorabend einer entscheidenden Schlacht mit dem Sieg verheißenden Zeichen des „neuen“ Gottes. Der Schutz des christlichen Gottes wird daraufhin schnell mit dem Lieblingsmotiv römischer und später auch mittelalterlicher Kaiser kombiniert. So war es dann auch nicht verwunderlich, dass Heilige aus den Rängen des Militärs im Typus des siegreichen Reiters dargestellt und zum »Heiligen Reiter« verklärt wurden. Sankt Martin ist ein prominentes Beispiel.

Der Drachentötende Hl. Georg. – Ikone, Ende 15. Jh., Unbekannter Maler von Candia.

 

Aber auch der Drachen tötende Heilige Georg steht in dieser Tradition. Er starb der Legende nach ebenfalls im 4. Jahrhundert n. Chr. als Märtyrer und wurde vor allem während der Kreuzzüge im 11. bis 13. Jahrhundert als miles christianus (»christlicher Soldat«) verehrt und zum Schutzpatron der Kreuzritter. Auch die Darstellung eines namenlosen weiteren Reiterheiligen breitete sich im frühen Mittelalter (5.–9. Jahrhundert) vom Mittelmeerraum nach Westeuropa aus. Er verbindet mehrere Elemente miteinander: Statt einer Lanze, wie der Heilige Georg, oder einem Schwert, wie Sankt Martin, schwingt er einen Kreuzstab und trägt einen wehenden Mantel und einen Heiligenschein. Er tötet eine sich unter ihm windende Schlange, die, wie der Drache des Heiligen Georg, als Symbol für das Böse steht. Die Forschung führt dieses Motiv auf den biblischen König Salomon zurück, der mit Hilfe des Erzengels Michael gegen das Böse kämpfte.

Ein Reiterheiliger auf einer Gewandnadel aus Straßburg, Frankreich (Umzeichnung).

 

Die Darstellungen des siegreichen Kaisers und des heiligen Reiters stammen beide aus dem Kontext von Krieg und Konflikt. Durch ihre religiöse Umdeutung wurden sie jedoch zu Vorreitern christlicher Tugenden, die für das Gute kämpfen und Unheil abwehren.

 

AutorInnen:
Philipp Jakob Nicolai Kuhn
Andrea Stabel